Interview mit Radverkehrsexperte Peter Gwiasda

Planungsbüro VIA.Köln

Radverkehrsexperte Peter Gwiasda © Stadt Münster

Peter Gwiasda ist ausgewiesener Radverkehrsexperte. Er ist Gründungsmitglied und Vorstand von VIA und arbeitet seit 35 Jahren in der Radverkehrsentwicklung. In der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) leitet er den Arbeitskreis zur Fortschreibung der „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA)“.

veloregion.de: Herr Gwiasda, mit den Velorouten steigt die Stadtregion Münster in ein hierarchisiertes Radwegesystem ein. Was heißt das?

Peter Gwiasda: Vom Autoverkehr kennt man Autobahnen, Bundes- und Landstraßen und die ganz normalen Straßen in den Ortschaften. Im Radverkehr passiert jetzt erst etwas Ähnliches: Es gibt die Kategorie Radschnellweg, die Radvorrangrouten und die üblichen Radwege. Ausschlaggebend ist, wie viele Menschen dort entlangradeln und auch, wie lang die Entfernungen sind. Die Velorouten sind übrigens Radvorrangrouten.

Wie unterscheiden sich die Velorouten von den Radschnellwegen?

Ein Radschnellweg ist vier Meter breit, und die Radler sind von den Fußgängern streng getrennt. So etwas wird gebaut, wenn regelmäßig etwa 2000 bis 4000 Radler dort unterwegs sind. Radschnellwege sind ambitioniert. Vier Meter Breite zu realisieren, erfordert eine oft aufwändige Planung, denn diese Breiten sind ja nicht einfach da.

Die Radvorrangrouten sind da eher pragmatisch: Sie setzen auf dem vorhandenen Alltags-Wegenetz auf. Sie sind lediglich drei Meter breit und erschließen auch die angebundenen Ortsteile. In der Praxis heißt das, wir sprechen weniger von Neubau, sondern eher von Ausbau. Dafür kostet solch eine Route pro Kilometer auch „nur“ um die 700.000 Euro und ist damit etwa halb so teuer wie ein Radschnellweg.

Aber Münster nennt sich doch Fahrradstadt. Rechtfertigt der Anspruch nicht den Neubau von ordentlichen Radschnellwegen?

Na ja, viele kennen ja den RS 1, den Radschnellweg von Duisburg nach Hamm. Bislang gibt es – nach 8 Jahren Planungszeit - nur die Strecke zwischen Mülheim und Essen, 6 km lang. Weil einfach die Schritte zur Umsetzung sehr aufwändig und teuer sind. Das dauert. Die Stadtregion Münster ist meiner Meinung nach einen sehr pragmatischen Weg gegangen. Aus der Beobachtung des Alltagsverhaltens sind die wichtigsten Verbindungen zwischen Münster und den umliegenden Orten identifiziert worden. Dafür zieht man nicht einfach einen Strich von A nach B und baut eine Fahrradautobahn, das wäre völlig unökologisch.

Aber nochmal, hier haben viele Radler das Gefühl, dass die Velorouten eher die zweitbeste Lösung sind: Stückwerk, mit Engstellen, nicht mutig genug. Ist es nicht so?

Nein, auf keinen Fall. Eher mit Augenmaß. Die Stadtregion will die Erschließung für insgesamt 12 Kommunen, nicht nur zwei Leuchttürme für die Medien. Das darf nicht so lange dauern wie ein Radschnellweg. Und wird es auch nicht, denn es geht vorrangig um Ausbau und entsprechende Markierung.

Und was hier ganz besonders ist, übrigens bundesweit: Es gibt einen Katalog, in dem die Qualitäten und Standards für die Velorouten genau festgelegt sind. Die Breite, die Oberflächen, die Einmündungen in Kreuzungen, ob da Poller stehen dürfen und wie der Winterdienst auszusehen hat. Danach wird geplant und ausgebaut. Gemeinsame Standards, auf die sich eine Stadtregion verständigt, habe ich sonst noch nirgends gesehen.

Wie ist es denn anderswo gelöst?

Meine Prognose ist, dass die Radvorrangrouten in Zukunft das wichtigste Element im überörtlichen Radwegenetz werden. In Rheinland-Pfalz ist z.B. in den meisten Regionen kein Potenzial für Radschnellwege, aber dort gibt es jetzt die so genannten Pendlerrouten, auch als Radvorrangrouten. Der Regionalverband Ruhr, Betreiber des RS1, will das jetzt auch für insgesamt 96 Kommunen als Ergänzung zu einigen wenigen Radschnellwegen. Und auch Köln und Düsseldorf definieren nach diesem Standard ihr Radhauptnetz. In Kiel sowie auf acht Kilometern zwischen Böblingen und Stuttgart gibt es Radschnellwege. Die 35 Kilometer zwischen Darmstadt und Frankfurt wiederum werden als Vorrangroute ausgebaut.

Das heißt, dass in Zukunft diese drei Standards gelten: normale Radwege, Radvorrangrouten und Radschnellwege. In den zukünftigen Empfehlungen der standardprägenden FGSV, der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, wird das festgeschrieben sein.